Süße Früchte und so viel mehr: Trauben
Erstaunlich, aber wahr: Alle Weintrauben, die heute gekeltert, gepresst oder zum Käse serviert werden, lassen sich auf eine einzige Rebsorte zurückführen, die der Mensch seit über 13.000 Jahren nutzt, veredelt, hegt und pflegt. Aus ihr entwickelten sich im Laufe der Zeit sowohl Kelter- als auch Tafeltrauben – beides Varianten der Urform Vitis vinifera, egal ob wir den Saft vergären oder die süßen, oft kernlosen Beeren als Tafeltrauben direkt genießen. Da Speisetrauben weltweit gedeihen, stehen sie uns das ganze Jahr über zur Verfügung. Worauf kommt es beim Einkauf an? Wie gesund sind Weintrauben? Worauf sollte man achten? Was ist in der Küche wichtig? Und welche Sorte rundet welches Gericht perfekt ab?
Anfang und Entwicklung des Weinbaus
Der Übergang von der wilden Pflanze zur gezielt gepflegten Kulturrebe ist noch immer etwas unklar, allerdings scheint eines sicher: Bereits vor über 13.000 Jahren erkannten Menschen den Wert der kleinen, saftigen Beeren und begannen sie gezielt zu vermehren und weiterzuentwickeln. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass der südliche Kaukasus (das heutige Georgien), Armenien und Teile des Iran als Wiege der Vinifikation gelten dürfen: In Tonamphoren fanden sich Reste von Weinsäuren, die bis in die Jungsteinzeit zurückreichen. Einige Jahrtausende später fasste der Reb- und Weinbau im gesamten Vorderen Orient Fuß, verknüpfte sich mit Religion, Handel und Kulinarik und breitete sich immer weiter aus.
Als die Ägypter um 4000 vor Christus hieroglyphisch festhielten, wie man Trauben presst, war die Weinrebe längst zum Symbol von Fruchtbarkeit und gesellschaftlichem Prestige geworden. Etwa 1.500 Jahre später gelangte sie nach Kreta und ihre Früchte wurden dort von den Minoern verarbeitet. Griechische Kolonisten brachten den gepflegten Genuss später nach Massalia (das heutige Marseille), noch ehe die Römer damit begannen, Gallien, Spanien und schließlich Germanien mit ihren legionseigenen Rebanlagen zu überziehen. Dass Cäsars Truppen Wein als Sold erhielten, förderte die Ausbreitung von Vitis vinifera enorm – und ganz nebenbei entstand das Wegenetz, dem noch heute viele Weinrouten folgen.

Weintrauben zum Trinken – und erst später zum Essen
In den frühen Hochkulturen diente die Traube in erster Linie als Rohstoff für Wein oder getrocknet als Rosine, denn nur in dieser Form ließ sie sich sicher lagern und über weite Strecken transportieren. Frische Beeren waren schlicht zu empfindlich, und so blieb ihr Genuss lange das Vorrecht derer, die nah am Weinberg lebten oder enorm wohlhabend waren. Die römische Oberschicht soll frische Weintrauben zwar sehr geschätzt haben, doch galten sie selbst im milden Klima Kampaniens als vergängliches Luxusgut, das man – wenn überhaupt – direkt während der Lese verzehrte. Erst als Dampfschiffe, Eisenbahn und später durchgängige Kühlketten die Transporte drastisch verkürzten und verbesserten, entwickelte sich ein nennenswerter Markt für Speisetrauben.
Folgerichtig erweiterten sich die Züchtungsbemühungen der Winzer ab jetzt auf Merkmale, die für den Verzehr von unverarbeiteten Weintrauben entscheidend sind: Kernlosigkeit, ausgeprägte Süße und Saftigkeit, eine gute Größe, dünne Schale und ein lockerer Beerenansatz, der Fäulnis mindert und die Ernte vereinfacht. Bis heute achten Weinbauern auf eben diese Faktoren und auf eine lockere, luftige „Traubenarchitektur“, dank der jede Beere genug Sonnenlicht und Frischluft erhält.

Rote und weiße Tafeltrauben: zwei Farben, zwei Temperamente
Wer zwei Trauben verschiedener Farbe verkostet, merkt die geschmacklichen Unterschiede zwar recht schnell, die Zuckerkonzentration jedoch bleibt bei reif geernteten Tafeltrauben nahezu identisch. Den kleinen aromatischen Vorsprung der dunklen Sorten verdanken wir Anthocyanen und Resveratrol: Diese Stoffe färben die Schale rubinrot bis fast schwarz und steuern eine hauchzarte Bitternote bei, die viele Genießer als würzig wahrnehmen. Weiße Trauben besitzen diese Inhaltsstoffe nicht, sie präsentieren sich dadurch frischer und häufig etwas zitrusartig mit einer ausgeprägten saftigen Süße.
Der Foodpairing-Klassiker Käse und Trauben verdeutlicht diesen Unterschied: Während ein cremiger Ziegenkäse die Säure der Weißsorten perfekt ausbalanciert, fordern kraftvolle Blauschimmelkäse die feine Herbheit dunkler Weintrauben.
Weintrauben und ihre Erntefenster rund um die Welt
Dass wir inzwischen beinahe jederzeit auf frische Trauben zugreifen können, verdanken wir der Abfolge entgegengesetzter Vegetationsperioden auf der Nord- und Südhalbkugel: Sobald in Europa die letzten Beeren gekeltert sind, beginnt auf der Südhalbkugel die Reifephase – und umgekehrt.
Als Richtwert für den optimalen Erntezeitpunkt gilt: Tafeltrauben sollten zwischen 14 und 18 Grad Brix aufweisen – ein Maß, das angibt, wie viele Gramm Zucker in 100 Milliliter Saft stecken (bei 18 Grad Brix enthalten 100 Milliliter Saft 18 Gramm Zucker). Keltertrauben streben höhere Werte von bis zu 28 Grad Brix an, weil die Hefen für alkoholreiche Moste mehr Zucker benötigen.
Ernte: Januar bis April
Hauptanbaugebiete: Chile, Peru und Südafrika
Ernte: Mai bis Juli
Hauptanbaugebiete: Ägypten, Italien und Spanien
Ernte: August bis Oktober
Hauptanbaugebiete: Deutschland*, Griechenland und Italien
* In Deutschland überschneidet sich die Tafeltraubenlese mit der Weinlese.
** Trotz Kernen als Premium-Tafeltrauben geschätzt.
*** Pilzwiderstandsfähige Sorten, die deutlich weniger Pflanzenschutz benötigen.
Ernte: November bis Dezember
Hauptanbaugebiete: Brasilien und Namibia
Handgelesen werden meist nur die teuersten und besten Trauben, Massenware stammt dagegen oft aus moderner Maschinenlese (die dank sensibler Rüttelkämme erfreulich beerenfreundlich arbeitet).
Traubensaft – einmal Zucker und zurück
Weißer Trauben-Direktsaft entsteht aus hellen, roter aus dunklen Trauben. In der Großproduktion wird der Saft nach dem Pressen kurz pasteurisiert, zum Konzentrat eingedickt und später wieder mit Wasser rückverdünnt. Das erklärt, warum 100 Milliliter Saft fast immer um die 15 Gramm Zucker enthalten – genau die Süße, die auch in der reifen Beere steckte. Mit 65 bis 80 Kilokalorien pro Glas ist Traubensaft ein Energielieferant, den man bewusst genießen sollte, der aber, gekühlt und zum Beispiel mit Mineralwasser gestreckt, eine wunderbar fruchtige Schorle ergibt.

Nährwerte von Weintrauben – kleine Früchte, großer Nutzen
Rot oder weiß: Trauben stecken voller Ballaststoffe und schneller Energie. Rote Sorten punkten zusätzlich mit Anthocyanen, die als antioxidativ gelten. Vitamin B1, B6 und Niacin unterstützen den Energiestoffwechsel, Kalium reguliert den Wasserhaushalt, Calcium und Eisen stärken Knochen und unsere Blutbildung.
Der hohe Fruchtzuckergehalt erfordert jedoch Augenmaß: Menschen mit Diabetes sollten ihre Portionen genau abschätzen, da Glukose und Fruktose den Blutzuckerspiegel schnell anheben. Und wer unter Fruktose-Unverträglichkeit leidet, reagiert auf größere Mengen mit Völlegefühl, Blähungen oder Durchfall. Selbst robuste Genießer spüren nach sehr üppigen Traubenportionen bisweilen die durchaus beeindruckende Blähkraft der enthaltenen Ballaststoffe.
Einkaufstipps – woran Sie gute Weintrauben erkennen
Der Stiel verrät viel: Ist er grün und elastisch, wurde die Weintraube erst kürzlich geerntet (oder besonders gut gelagert und transportiert). Die Beeren selbst sollten prall, faltenfrei und ohne braune Flecken sein. Ein samtig-weißlicher Reif – die sogenannte Blüte (auch „Frischebelag“ genannt) – fungiert als natürlicher Schutzfilm und darf auf keinen Fall sofort abgewaschen oder als Schimmel missverstanden werden. Da Weintrauben nach der Ernte nicht nachreifen, lohnt es im Zweifel, eine Beere zu kosten: Nur die vollständige Reife garantiert volles Aroma und ausgewogene Süße.

Weintrauben in der Küche
Im Kühlschrank bleiben ungewaschene Trauben 7 bis 14 Tage frisch, wenn die Luft zirkulieren kann. Eine gelochte Kunststoffschale oder das geöffnete Originalgebinde sind ideal. Auch das Einfrieren ist kinderleicht: die Beeren von der Rispe lösen, auf einem Tablett vorfrieren und anschließend in Gefrierbeutel umfüllen. So kleben sie nicht zusammen und lassen sich später einzeln entnehmen – als Eiswürfelersatz in Sommerdrinks oder als blitzschnelle Basis für einen Frozen Smoothie.
- Vorbereitung: Waschen Sie Trauben erst kurz vor dem Servieren, damit die Schale prall bleibt und keine Feuchtigkeit ins Fleisch zieht.
- Käse & Co.: Kernhaltige rote Sorten setzen als Farbklecks auf Käse- und Aufschnittplatten Akzente; außerdem knacken die herben Kerne recht angenehm und kontrastieren mit cremigen Texturen.
- Kernlose Varianten: Ideal für Fingerfood, Buffets, Salate oder feines Gebäck.
- Foodpairing: Weiße Trauben unterstreichen die aromatische Frische von Ziegenkäse, Geflügel oder Meeresfrüchten, während dunkle ihre leichte Bitternote mit Steak, Lamm oder Blauschimmel verbinden.
- Raffinesse: Halbierte kernlose Beeren veredeln Waldorf-, Couscous- oder Asia-Salate.
- Gefrorene Highlights: TK-Weintrauben fungieren als essbare Eiswürfel, kühlen Sekt, Rosé, Cock- sowie Mocktails oder krönen Schokoladendesserts als eiskalter Gegenpart.
- Familienhinweis: Für Kinder unter vier Jahren die Trauben längs vierteln, damit keiner die ganzen Trauben in den falschen Hals bekommt.
Die Doppeltraube: Ein Rezept für Kelterhähnchen
Die anstrengende Lese ist für heute vorbei, es war heiß, mühsam und kräftezehrend. Höchste Zeit, Geist und Gaumen wieder zu Kräften kommen zu lassen! Was kann da besser sein als ein bisschen in Weinsud geschmortes Geflügel, das mit Kartoffeln, Zwiebeln und dann auch noch frischen Weintrauben veredelt wird? Wir können nur sagen: Auch wenn Sie nicht den ganzen Tag über körperlich geschuftet haben, ist dieses Rezept die reine Wohltat.